Liebe deinen Nächsten, auch wenn du ihn dir nicht ausgesucht hast!

Der Gesetzeslehrer … fragte …: „Und wer ist mein Nächster?“
Lukas 10,29 (NGÜ / ELB)
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Ein Gesetzeslehrer fragte Jesus, was man tun müsse, um das ewige Leben zu bekommen. Statt zu antworten, fragte Jesus zurück: „Was sagt das Gesetz dazu?“ Der Mann hatte eine Fangfrage stellen wollen, nicht ahnend, dass er mit dem Gesetzgeber persönlich sprach.
Daraufhin fasste der Gesetzeslehrer die Aussagen des Gesetzes in zwei Sätzen zusammen: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft“ (5.Mose 6,5 ELB) und: Du … „sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3.Mose 19,18 ELB). Jesus war zufrieden mit der Antwort und sagte: „Du hast richtig geantwortet … tu das, und du wirst leben“ (Lukas 10,28 NGÜ).
Doch dem Gesetzeslehrer gefiel diese Antwort nicht, wahrscheinlich machte sie ihm ein schlechtes Gewissen. So stellte er eine weitere Frage, wie um sich selbst zu rechtfertigen: „Und wer ist mein Mitmensch?“ (Lukas 10,29 NGÜ). Als Antwort erzählte Jesus das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lukas 10,30-37).
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Der Nachbar, den wir uns so nicht aussuchen würden.

Es ist ein sehr vielschichtiges Gleichnis. Aber eine Deutung sticht besonders hervor: Gott bestimmt, wer der Nächste ist, den wir lieben sollen. Dabei handelt es sich meist um Personen, die wir uns selbst nicht ausgesucht hätten.
Juden und Samariter konnten nicht befreundet sein. Die beiden Völker wollten nichts miteinander zu tun haben. Doch in Jesu Geschichte trafen Vertreter genau dieser beiden Volksgruppen aufeinander. Der Jude war unerwartet in Not geraten und der Samariter entschied sich, ihm zu helfen. Der Samariter investierte Zeit und Geld, änderte seine Pläne und Prioritäten und setzte sich mit der grausamen Realität des Juden auseinander.
Ob uns das gefällt oder nicht, Gott erwartet von uns, in Not geratene Fremde und Ausländer so zu lieben, als wären sie unsere Freunde. Aber wie viel mehr Fürsorge erwartet er dann von uns in Bezug auf die Menschen, mit denen wir regelmäßig zu tun haben? Oft fällt es uns besonders schwer, die uns Nahestehenden zu lieben. Jemand hat mal gesagt:
Mit manchen Menschen schließen wir Freundschaft, mit anderen streiten wir, aber Gott bestimmt, wer in unserer Nachbarschaft lebt … Im guten alten Bibeldeutsch wird uns die Liebe zum Nächsten befohlen, nicht zur Menschheit im Allgemeinen. Unsere grundsätzliche Verantwortung der Schöpfung gegenüber ist so allgemein gehalten, dass wir manchmal denken, wir hätten die Wahl, wann wir wem helfen wollen, je nachdem, ob wir jemanden mögen und ob es uns zeitlich gerade passt … Aber wir sind aufgefordert, unseren Nächsten zu lieben, weil er in unserer Nähe ist. Das ist eine Verpflichtung, die uns nicht immer gefallen mag und eine Verantwortung, derer wir uns oft nicht bewusst sind. Doch unser Nächster ist genau der Teil der Menschheit, für den wir zuständig sind.
Solange es ein abstraktes Konzept bleibt, gefällt uns das Ideal der Nächstenliebe. Schwieriger wird es, wenn wir unseren Nächsten ganz konkret lieben sollen. Er ist uns vielleicht unsympathisch, wir gehen ihm normalerweise aus dem Weg und denken nicht im Traum daran, ihn zum Freund haben zu wollen. Plötzlich wird es schwierig mit der Nächstenliebe. Tatsächlich ist sie kein schönes Ideal, denn Liebe hat immer mit Hingabe und Verzicht zu tun und richtet sich an unvollkommene Menschen, die uns von Gott als Nächste zugedacht werden.
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Die Familie, die wir uns nicht ausgesucht haben

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In erster Linie sind unsere Familienangehörigen unsere Nächsten. Auch sie haben wir uns nicht ausgesucht, Gott hat sie uns zugeteilt. Wir wurden als Familie zusammengepackt, jeder hat seine Ecken und Kanten, und dann sollen wir uns mit dieser Nächstenliebe lieben, von der Jesus sprach. jemand schrieb dazu:
Nächstenliebe wird dann aktuell, wenn der eigene Bruder sich nicht für religiöse Themen interessiert und lieber in die Kneipe als in die Kirche geht. Unser Onkel mag die Art unserer Schwester nicht, wir stehen dazwischen und stellen fest, dass Nächstenliebe gegenüber der Familie nicht leichter ist als gegenüber der restlichen Welt … Unsere Tante argumentiert völlig unlogisch und gehört damit zu den Menschen, von denen wir uns normalerweise distanzieren würden. Unser Vater zählt zu den extrem begeisterungsfähigen Menschen, denen wir gerne aus dem Weg gehen. Jugendliche, die wie unser jüngster Bruder voller Gemeinheiten stecken, mögen wir eigentlich nicht und vielleicht haben wir auch noch einen Opa, der so rückständig ist wie manche alten Leute, die wir sicher nicht als unsere Nächsten aussuchen würden (Chesterton: ausHeretics, Kapitel 14).
Hätten wir ein Mitspracherecht gehabt, dann hätten sich viele von uns andere Familien ausgesucht. Deshalb ist die Familie der Ort, an dem Nächstenliebe eingeübt werden kann. Familie ist wie ein Mikrokosmos, in dem die unterschiedlichsten Arten von Menschen eng zusammenleben und zusammengehören, auch wenn sie ganz verschieden sind.
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Die Leute in der Gemeinde, die wir uns nicht ausgesucht haben

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Wenn wir erwachsen werden und in einem freien Land leben, überlegen wir uns, welcher Gemeinde wir uns anschließen wollen. Aber auch da haben wir keinen Einfluss darauf, wer außer uns noch in die Gemeinde kommt.
Früher oder später weist unsere Gemeinde Ähnlichkeiten mit unserer Familie auf. Einige Leiter enttäuschen uns und manche Gemeindemitglieder haben eine ganz andere Weltanschauung als wir. Sie haben seltsame Hobbys, ihnen sind andere geistliche Dinge wichtig, sie haben andere Auffassungen und ihren Musikgeschmack teilen wir auch nicht.
Das Zusammenleben in der Gemeinde hat schon bald nichts mehr mit dem zu tun, was wir uns ursprünglich vorgestellt hatten. Die Realität ist weit entfernt von unseren Erwartungen. Viele kommen an der Stelle zu dem Schluss, dass es Zeit wird, sich eine bessere Gemeinde zu suchen.
Das kann gelegentlich auch richtig sein, vor allem, wenn die Werte und die Theologie der Gemeinde wirklich den biblischen Grundlagen widersprechen. Dann ist es besser, wir suchen uns eine Gemeinde, die besser zu uns passt.
Aber wenn wir uns in unserer Gemeinde nicht mehr wohlfühlen, weil wir von den schwierigen Menschen enttäuscht sind, die so anders sind als wir, und weil manches in der Gemeinde nicht unserem Geschmack entspricht, dann wird ein Gemeindewechsel nicht helfen. In dem Fall müssen wir uns dazu entscheiden, die Nächsten zu lieben, die Gott um uns herum platziert hat.
Von Anfang an war Nächstenliebe Gottes Anspruch an die Christen. In der frühen christlichen Gemeinde ging es teilweise sehr positiv zu: „ Was das Leben der Christen prägte, waren … ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft … Alle, die an Jesus glaubten, hielten fest zusammen und teilten alles miteinander … Einmütig und mit großer Treue kamen sie Tag für Tag im Tempel zusammen. Außerdem trafen sie sich täglich in ihren Häusern … und ihre Zusammenkünfte waren von überschwänglicher Freude und aufrichtiger Herzlichkeit geprägt …“ (Apostelgeschichte 2,42-47). Doch schon damals lesen wir auch ganz andere Dinge: „Die Zahl der Jünger wuchs unaufhörlich. Allerdings wurden in dieser Zeit auch Klagen innerhalb der Gemeinde laut, und zwar vonseiten der Jünger, die aus griechischsprachigen Ländern stammten. Sie waren der Meinung, dass ihre Witwen bei der täglichen Versorgung mit Lebensmitteln benachteiligt wurden, und beschwerten sich darüber bei den einheimischen Jüngern“ (Apostelgeschichte 6,1). Auch das lesen wir: „Es gibt noch eine Sache, in der ich Anordnungen treffen muss, und diesmal handelt es sich um etwas, wofür ich euch nicht loben kann. Ihr verhaltet euch bei euren Zusammenkünften nämlich so, dass es die Gemeinde nicht fördert, sondern ihr schadet. Ich habe – um damit zu beginnen – gehört, dass ihr euch, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt, in Gruppen aufspaltet, und zumindest teilweise glaube ich das auch ... bedeutet euch die Gemeinde Gottes so wenig, dass es euch nichts ausmacht, die bloßzustellen, die nichts haben? Was soll ich dazu sagen? Soll ich euch loben? In diesem Punkt lobe ich euch nicht“ (1.Korinther 11,17-22). In jenen ersten Gemeinden waren Juden, Griechen und Römer zusammen, Herren und Sklaven, Reiche und Arme. Manche hätten gerne andere Leiter gehabt, andere stritten sich heftig um Kleinigkeiten – es war nicht anders als in unseren Gemeinden heute. Schon damals war es nicht einfach, gemeinsam in einer Gemeinde zu leben, vielleicht war es sogar noch schwerer als bei uns. Deshalb musste Paulus den Text über die Liebe schreiben: „… Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet. Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach …“ (1.Korinther 13). Paulus schrieb immer wieder über die Liebe und über das Zusammenleben in der Gemeinde: „… Lasst im Umgang miteinander Herzlichkeit und geschwisterliche Liebe zum Ausdruck kommen. Übertrefft euch gegenseitig darin, einander Achtung zu erweisen …“ (Römer 12).
Die christlichen Gemeinden überzeugten zu keiner Zeit durch die ideale Zusammensetzung ihrer Mitglieder, sondern auffällig war die Liebe, mit der sich alle gegenseitig annehmen konnten, trotz aller Verschiedenheit. Dazu lernen wir vom Barmherzigen Samariter, dass diese Liebe dann am hellsten leuchtet, wenn sie uns Zeit und Mühe kostet und nicht selbstverständlich ist.

Dann geh und mach es ebenso!

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Wenn wir zusammen mit dem Gesetzeslehrer fragen: „Wer ist mein Nächster?“, dann bekommen auch wir vielleicht eine Antwort, die uns nicht passt. Unsere Vorstellungen von Liebe und Gemeinschaft werden möglicherweise von Jesus nicht berücksichtigt. Statt uns aufzufordern, die Menschen zu lieben, denen wir uns nahe fühlen, wird er uns vielleicht zu den Leuten führen, die ganz anders sind als wir, bedürftig, chaotisch, zerstört – Menschen, denen wir eigentlich keine Beachtung schenken würden – zu ihnen schickt er uns: „Das ist dein Nächster.“
Vielleicht kennen wir die Person noch nicht, die Jesus uns als unseren Nächsten zugedacht hat. Aber vielleicht lebt er oder sie auch schon direkt neben uns, in unserer Straße oder in unserem Haus. Es kann auch sein, dass es jemand aus unserer Gemeinde ist.
Der gleichnishafte Samariter liebte den verletzten Juden in der Geschichte so wie sich selbst. Jesus sagt zu uns, was er zu dem Gesetzeslehrer sagte: „Geh und mach es ebenso!“
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